Welche Strukturen der Flüchtlingshilfe gibt es auf kommunaler, Landes- bzw. Bezirks- und Staatsebene beidseits der Grenze? Welche Hilfsorganisationen leisten Unterstützung? Wie wurde 2015 agiert und welche Lehren können daraus gezogen werden? Und vor allem: Wie können wir uns grenzüberschreitend gegenseitig unterstützen?
Kollegialer Austausch
Über diese und weitere Fragen wurde am in der dritten Veranstaltung im Rahmen unserer Reihe „Couragiert debattiert – deutsch-tschechische Nachbarschaftsgespräche“ ausführlich gesprochen. Als Expert:innen zu Gast waren hierfür auf deutscher Seite Stephan Härtel, Beauftragter für Integration und Migration im Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Claudia Hamsch, Bildungskoordinatorin im Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Christopher Neidhardt, stellv. Rettungsleiter DRK Pirna, und Sandra Weiser, Leiterin Beratung AWO Sachsen Soziale Dienste gGmbH. Von tschechischer Seite nahmen u.a. Pavel Bacík, Direktor der Verwaltung der Flüchtlingseinrichtungen des tschechischen Innenministerium, Jan Kubíček, Leiter des Zentrums für die Integration von Ausländern im Bezirk Ústí und Lenka Vonka Černá, Direktorin des Ehrenamtszentrum in Ústí nad Labem teil.
Bei der Debatte wurde festgestellt, dass im Gegensatz zu Deutschland Tschechien nicht auf umfangreiche Erfahrungen aus der letzten Flüchtlingskrise zurückgreifen kann, aber die in Deutschland gemachten Erfahrungen geteilt werden können. Dass die Situation heute jedoch nicht in jeder Hinsicht mit 2015 vergleichbar ist, zeigt sich u.a. an der anderen Zusammensetzung der Flüchtlingsströme. Damals kamen insbesondere junge Männer, heute kommen vor allem Frauen und Kinder, was zum Teil zu ganz anderen Bedarfen und Herausforderungen im Hinblick auf Unterkunft, Betreuung und Beschulung führt, mit denen sich beide Staaten auseinandersetzen müssen. Außerdem erfolgte 2015 in Deutschland die komplette Registrierung in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Heute jedoch kommen viele Geflüchtete in privaten Unterkünften unter und eine sofortige Registrierung ist nur notwendig, wenn auch Leistungen benötigt werden. Hinzu kommt, dass Geflüchtete aus der Ukraine unmittelbar nach der ersten Erfassung eine Arbeit aufnehmen können.
Große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung beidseits der Grenzen
Einig waren sich alle Teilnehmenden, dass die Integration der Geflüchteten in Schulen, Arbeitsmarkt und Gesellschaft oberste Priorität hat und nicht ohne die Zivilgesellschaft zu bewerkstelligen ist. Die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und die unverzichtbare Unterstützung durch die NGOs und ihre Netzwerke wurde von den kommunalen und politischen Verantwortungstragenden nachdrücklich hervorgehoben. Allein in Ustí nad Labem haben sich 111 freiwillige Dolmetscher:innen gemeldet, die die angekommenen Geflüchteten im Behördendschungel und bei der Arbeitssuche begleiten.
Um jedoch Doppelstrukturen zu vermeiden, wurde beispielsweise im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ein Netzwerk für Integration mit einer Steuerungsgruppe gegründet, in dem die verschiedenen Träger:innen vernetzt sind, um ihre Angebote aufeinander abzustimmen, außerdem stärken kommunale Integrationskoordinatoren den Bürgermeister:innen den Rücken. Solche Strukturen zu schaffen, entspricht im Idealfall wiederum dem typischen Aufgabenspektrum der Kommunen. Es zeigt sich also, dass für die Bewältigung einer Mammutaufgabe wie die derzeitige Flüchtlingskrise staatliche Strukturen auf die Zivilgesellschaft und vice versa angewiesen sind. Ein offenes und vertrauensvolles Miteinander beflügelt den Erfolg und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig.
Enger Austausch und gegenseitige Besuche gewünscht und vereinbart
Ein enger Austausch zwischen Akteuren der Flüchtlingshilfe im deutsch-tschechischen Grenzgebiet und gegenseitige Besuche von Best-Practice-Strukturen, -Einrichtungen und -Angeboten wurden vereinbart. Die Aktion Zivilcourage e. V. wird dies auch zukünftig gerne weiter unterstützen.