Das neue Dialogformat "Couragiert Debattiert" fand am Mittwoch, den 10.02.21, mit 80 Teilnehmenden aus ganz Sachsen online statt. Im Mittelpunkt der Online-Debatte stand das höchst aktuelle Thema "Schulöffnungen in Sachsen". Ziel der neuen Veranstaltungsreihe ist es, unter reger Beteiligung aller Anwesenden einen Überblick über Standpunkte und Meinungen zu erhalten, Meinungsbildung zu fördern sowie die öffentliche Debatte so kontrovers wie möglich zu führen.
Was gestern richtig war, kann morgen falsch sein
Corona halt vielseitige Auswirkungen auf unser Leben. Gehen wir durch die Straßen, sehen wir geschlossene Geschäfte, Treffen mit der Familie und Freunden sind stark eingeschränkt, oftmals fehlt der soziale Austausch. In der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen spielt heute aber noch eine ganz andere Beschränkung eine essenzielle Rolle: Sie können nicht mehr in die Schule gehen und dort gemeinsam mit ihren Klassenkameraden lernen, so wie sie es noch vor einem Jahr gewohnt waren.
Die Debattierenden
Das neue Dialogangebot „Couragiert Debattiert“ der Aktion Zivilcourage e.V. stellte am Mittwochabend (10.02.21) genau dies in den Mittelpunkt einer Onlinedebatte. Die Gäste Joanna Kesicka, Vorsitzende des Landesschülerrats, Ursula-Marlen Kruse, Landesvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft in Sachsen, Prof. Dr. Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig und Jörg Menke, stellvertretender Vorsitzender des Landeselternrates Sachsen, diskutierten untereinander und mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern 90 Minuten über die in Sachsen geplanten Schulöffnungen und mögliche Risiken, die mit dieser einhergehen können.
Ziel der Veranstaltung war es, einen Austausch zu ermöglichen, der andere Standpunkte nicht nur aufzeigt, sondern auch respektiert. Zu den Teilnehmenden zählten neben Lehrkräften auch Schulleitungen, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern und weitere Interessierte. Die Beteiligung dieser zeichnete sich nicht nur durch Wortmeldungen und schriftliche Fragen aus, sondern auch über die Teilnahme an Umfragen, die während der Veranstaltung geschaltet wurden. Bei einer solchen positionierten sich die 80 Teilnehmenden gleich zu Beginn zu den am Vorabend vorgestellten Plänen des sächsischen Kultusministeriums zur Öffnung der Schulen. Eben jene begrüßten lediglich 22% der Anwesenden, 31% stimmten mit der Planung nicht überein, und 46% nur zum Teil.
Die Argumente
Auch in der Diskussionsrunde wurde das Konzept abgewogen. Dass Bildung als eines der bedeutendsten Güter unserer Gesellschaft gilt, hoben alle vier Podiumsgäste in ihren Ausführungen im Verlaufe des Abends hervor. Frau Kruse betonte direkt am Anfang der Veranstaltung, dass es das Ziel sei, verlässliche Bildung für Kinder und Jugendliche während der gesamten Zeit der Pandemie zu garantieren. Die momentan angewandten Methoden um dieses Ziel zu erreichen, seien jedoch nur zum Teil sinnvoll. So wurde zum Beispiel bis kurz vor der Schließung der Schulen von politischen Verantwortungstragenden am Präsenzunterricht festgehalten, was Schulen dazu veranlasste, sich nicht auf digitale Angebote ausreichend im Vorfeld umzustellen. Der Zusammenbruch von Lernsax nach den Schulschließungen war so laut Frau Kruse schlicht und ergreifend zu erwarten.
Das sich daran etwas getan habe, betonte Frau Kesicka. Die Lernplattform verwandle sich sukzessive in ein unterstützendes Tool im Homeschooling. Dennoch unterstreicht die Vorsitzende des Landesschülerrats eine fehlende Planbarkeit als große Herausforderung für Schülerinnen und Schüler. Sie fordert, dass kommende Schulöffnungen nicht kurzfristig bekanntgemacht werden, sondern mit Vorlauf an Lehrkräfte, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler herangetragen wird. Langfristig müsse ein Ausgleich von Defiziten für alle Jahrgänge geschaffen werden. Möglichkeiten dafür biete die Anpassung des Lehrplans, sowie Ferienangebote, welche den Schulstoff aufarbeiten.
Herr Prof. Dr. Wieland Kiess betonte in seiner Ausführung, dass in der heutigen Zeit auf keine Planbarkeit zu setzen ist. Da wir gerade Grenzen der Planbarkeit erleben, ist Flexibilität und Verständnis gefordert, auch gegenüber der Politik. Die momentane Bildungssituation stellt Schülerinnen und Schüler vor große Herausforderungen, weshalb er sich dafür ausspricht, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Was die Virusübertragung an Schulen anbelangt, plädiert Prof. Dr. Kiess für die Einhaltung der Hygieneregeln. Wer sich etwa an das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sowie Lüften hält, für den sei das Risiko einer Infizierung geringer. Jeder Mensch trage Verantwortung mit seinem Verhalten. Wichtig erscheinen dem Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig gesundheitliche Langzeitfolgen der Pandemie für Schülerinnen und Schüler. Kinder und Jugendliche litten unter den bestehenden Verordnungen, missen soziale Kontakte, hätten teilweise mit Gewichtsschwankungen zu kämpfen und hätten indes Angst vor dem Verlust der (Groß-)Eltern.
Das psychische Leiden der Kinder und Jugendlichen stellt auch Herr Menke zum Schluss der Veranstaltung noch einmal deutlich dar. Mit der Schließung der Schulen fehle ihnen ein sozialer Raum, der zu Hause nicht geboten werden kann. Die oberste Priorität sei dennoch der Gesundheitsschutz. In diesem Zwiespalt befinden sich auch gerade die Eltern, deren Sicht auf die geplanten Lockerungen vielseitig sei. Auch wenn das, „was gestern richtig war, […] morgen falsch sein [kann]“, so Herr Menke, kritisiert er die regelmäßigen um 14 Tage verschobenen Fristen zu erahnten Lockerungen. Hilfreicher für Schülerinnen und Schüler seien engagierte Lehrkräfte, welche auf kreative Weise ihren Unterricht umsetzten. Auch Eltern hätten Ideen, um das Homeschooling zu erleichtern. Mit diesen sollten sie sich an ihre Schule, den Kreis- und in letzter Instanz an den Landeselternrat wenden, empfiehlt er.
Kein "Coronajahrgang"-Stempel
Am Ende der Veranstaltung wurde noch einmal deutlich, welche Bedarfe und Interessen momentan in der Bevölkerung bestehen. Aktuell werden zwar pragmatische Lösungen gesucht, wenn man seinen Blick jedoch auch in die Zukunft richte, sei eine Reform des Bildungssystems unausweichlich. Dazu sei auch eine finanzielle Unterstützung von Schulen gefragt, so Frau Kruse. Ebenso sei es essenziell, Pädagoginnen und Pädagogen ins Bewusstsein zu rufen, worum es auch beim digitalen Lernen von zu Hause aus gehe – Wissensvermittlung und Verbindungspflege.
Frau Kesicka wünscht sich nicht nur eine stärkere Unterstützung von Förderschulen, sondern auch, dass die Gesellschaft den während dieser Pandemie mit der Schule abschließenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht das Wort „Coronajahrgang“ als Stempel verabreiche. Dieser könne das spätere Leben der Absolventen beeinflussen. Stattdessen gelte es damit zu beginnen, Nachteile auszugleichen.
Aufzeichnung der Debatte
Wenn Sie Interesse an dieser Gesprächsrunde haben, können Sie diese über den folgenden Link auch im Nachhinein ansehen: https://youtu.be/6X3gYoxOM-E
Weitere Informationen
Für weitere Informationen steht Ihnen Projektreferent Andreas Tietze unter a.tietze@aktion-zivilcourage.de und 03501 460882 zur Verfügung.