Im April sollte es endlich soweit sein: Carlos wäre von Dresden nach Berlin in die chilenische Botschaft gefahren, um darüber abzustimmen, wer in seinem Heimatland eine neue Verfassung erarbeiten soll. Doch Corona machte den sozialen Bewegungen, die im Oktober letzten Jahres in Chile begannen, einen Strich durch die Rechnung. Das lässt uns genügend Zeit dafür, das Geschehene zu reflektieren und für die Zukunft zu ordnen. Denn eins ist für Carlos sicher: Nach Corona ist eine Rückkehr zu den Protesten unumgänglich. Die aktuellen Bilder aus Chile zeigen sogar, dass bereits jetzt der Druck der Straße wieder zunimmt.

Der lange Schatten der Diktatur: Chilen*innen möchten neue Wege gehen

"Über Chile könnte man eigentlich so viel Schönes erzählen: über bedeutende Persönlichkeiten, die vielseitige Natur, das leckere Essen. Aber leider nicht über das Organisatorische." Daher redet Carlos, der seit mehr als 2 Jahren in Dresden lebt, vor allem über die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die letztendlich zu den Protestbewegungen letztes Jahr geführt haben. In Chile ist so gut wie alles privatisiert: das Gesundheits- und Bildungswesen, das Rentensystem, aber auch die Wasserversorgung. Das Land produzierte hohe Wachstumsraten, aber auch enorme Ungleichheit. Nur einem Prozent der Chilenen gehören heute etwa 30 Prozent des Reichtums. Es reichte ein einfacher Anstieg der Metro-Preise, um das Fass zum überlaufen zu bringen. Von Dresden aus musste Carlos mit ansehen, wie Millionen Menschen durch Chiles Hauptstadt zogen und für Reformen demonstrierten. Er selbst beteiligte sich an Protesten in Frankfurt. Die vermutlich größte Errungenschaft der Proteste: Die geplante Abstimmung über eine neue Verfassung im April. Man möchte den langen Schatten der Diktatur unter Pinochet loswerden. 

Corona sorgt für Aufschub des Verfassungsreferendums

Es kommt meist anders, als man denkt - Das hat Carlos in den letzten Monaten gleich mehrere Male hautnah miterlebt. Im Frühjahr 2019 buchte er Flugtickets nach Chile und freute sich auf ein Wiedersehen nach mehr als zwei Jahren Studium in Dresden. Als er dann über Weihnachten nach Hause flog, kam er in ein Land, das mitten in den größten Umwälzungen der letzten Jahrzehnte steckte. Valparaíso, Carlos frühere Studentenheimat und bekannter Tourismusmagnet, sei nicht mehr wiederzuerkennen. Und dann, als sich endlich konkrete Schritte im Reformprozess ankündigten, brach das neue Corona-Virus aus. Im Podcast macht Carlos aber deutlich, dass die Bewegung weiterkämpfen wird. Nun hoffe er aber zunächst, dass alle gut durch die Corona-Krise kommen und seine Freunde und Familie in Chile wie in Deutschland gesund bleiben.

"Es ist schön, dass hier noch an die Wissenschaft geglaubt wird"

Aktuell verschärfen die Corona-Beschränkungen die Not vieler Bürger*innen weiter. Home-Office sei in Chile nicht so einfach, erklärt uns Carlos. Und: regelmäßiges Händewaschen gehört zu den ersten Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus, ist aber mancherorts kaum möglich, da Wasser dort teuer und rationiert ist. Außerdem erzählt uns Carlos von Kuriositäten wie jener, als der Gesundheitsminister verkündete, man zähle an COVID-19 verstorbene Menschen in der Statistik zu den 'Genesenen', da sie ja niemanden mehr infizieren könnten. Ein befreundeter Arzt in Chile berichtete ihm zwar kürzlich, dass die Situation noch unter Kontrolle sei, aber aufgrund der schon im Normalbetrieb ausgelasteten Kapazitäten an Intensivbetten macht sich Carlos Sorgen. Im Vergleich dazu lobt er das Vorgehen in Deutschland und weiß es zu schätzen, wenn Politker*innen ihre Entscheidungen aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen treffen und dies auch so kommunizieren.

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Falls ihr nicht-deutsche Muttersprachler*innen kennt, die die aktuellen Beschränkungen in der Corona-Zeit nachlesen wollen, findet ihr auf der Website https://www.auslaenderrat.de/corona-infos/ die wichtigsten Infos in den verschiedensten Sprachen. Hier gibt es außerdem Übersetzungen der meisten amtlichen Bekanntmachungen.

Eine Übersicht über die aktuellen Angebote der Aktion Zivilcourage e.V. zu Corona-Zeiten findet ihr hier. Lob, Anmerkungen, Kritik, Kommentare sonstiger Art? Wir freuen uns auf euer Feedback: post@aktion-zivilcourage.de

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